Artikel 199
Am 26.03.2025 aktualisiert
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Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren

1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.

2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn:

  • a. die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat;
    b. der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist;
    c. in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995.

3 Bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5, 6 und 8 eine einzige kantonale Instanz zuständig ist, kann die klagende Partei die Klage direkt beim Gericht einreichen.

Version vor dem 01.01.2025

Art. 199 Verzicht auf das Schlichtungsverfahren

1 Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken können die Parteien gemeinsam auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verzichten.

2 Die klagende Partei kann einseitig auf das Schlichtungsverfahren verzichten, wenn:

a. die beklagte Partei Sitz oder Wohnsitz im Ausland hat;
b. der Aufenthaltsort der beklagten Partei unbekannt ist;
c. in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995.

Botschaften
Botschaft 2006 S. 7329 f.

Der Vorentwurf hat im Grundsatz zwar ebenfalls ein vorgängiges Schlichtungsverfahren vorgesehen, doch wurden – neben dem  gesetzlichen  Ausnahmekatalog (Art. 193 VE) – den Parteien breite Verzichtsmöglichkeiten eingeräumt. In den vermögensrechtlichen Streitigkeiten mit einem Streitwert von mehr als 20 000 Franken konnte jede Partei sogar einseitig darauf verzichten (Art. 192 Abs. 2 VE). Nur in Angelegenheiten des vereinfachten Verfahrens erklärte der Vorentwurf den Schlichtungsversuch als zwingend. Dies stiess in der Vernehmlassung auf starke Kritik, welcher der Bundesrat Rechnung trägt: - Bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten können die Parteien erst ab einem Streitwert von mindestens 100 000 Franken auf den Schlichtungsversuch verzichten (Abs. 1).  Der Verzicht muss ausserdem gemeinsam erfolgen, sei es  in Form einer ausdrücklichen Erklärung, sei es konkludent, indem die Gegenpartei sich der direkten Klageeinreichung nicht widersetzt. - Der einseitige Verzicht wird auf drei Fälle beschränkt (Abs. 2): Die beiden ersten (Bst. a und b) sind gewissermassen pathologisch (ausländisches Domizil einer Partei, unbekannter Aufenthalt der beklagten Partei).  Mit Blick auf eine möglichst rasche Begründung der Rechtshängigkeit der Streitsachen (Art. 62) kann sich aber auch hier ein Schlichtungsgesuch empfehlen. - Der dritte Fall übernimmt geltendes Recht, denn in Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz ist ein vorgängiger Schlichtungsversuch grundsätzlich freiwillig (Bst. c; vgl. Art. 11 GlG, der aufgehoben werden kann; Ziff. 1 Anhang). Entsprechend wird der klagenden Partei eine einseitige Verzichtsmöglichkeit eingeräumt.

(auch) unter der revZPO anwendbarBotschaft 2020 

S. 2715: Das Schlichtungsverfahren hat sich seit Inkrafttreten der ZPO als rasches, effizientes und kostengünstiges Streitbeilegungsverfahren bewährt: Die Stärkung der vorprozessualen beziehungsweise aussergerichtlichen Streitbeilegung war eines der Kernanliegen bei der Schaffung der ZPO. Sie ist sehr erfolgreich, können doch im Schlichtungsverfahren 50–80 Prozent der Streitigkeiten erledigt werden (Erläuternder Bericht VE, S. 10 ff.). Daher verlangte der Kanton Bern mit einer Standesinitiative, das Schlichtungsverfahren und die Schlichtungsverhandlung weiter zu stärken und auszubauen, namentlich indem die Kompetenzen der Schlichtungsbehörden erweitert werden (16.302 Kt. Iv. Bern «Erfolgsmodell Schlichtungsverhandlung ausbauen»). Das Schlichtungsverfahren soll daher in mehreren Punkten ausgebaut werden, was auch in der Vernehmlassung von einer grossen Mehrheit unterstützt und teilweise sogar noch zusätzlich verlangt wurde (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.5):

[...]

– Neu soll ein Schlichtungsverfahren auch bei Streitigkeiten nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben b, d–i sowie nach den Artikeln 6 und 8 ZPO durchgeführt werden, sofern die klagende Partei dies durch Einreichung eines Schlichtungsgesuchs verlangt (Art. 199 Abs. 3 E-ZPO). Gleiches gilt für Streitigkeiten nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und c, wenn der Streitwert mehr als 30 000 Franken beträgt. Damit soll diese Möglichkeit der aussergerichtlichen Streiterledigung auch in diesen Fällen zur Verfügung stehen, was auch unter dem Gesichtspunkt der effizienten Verjährungsunterbrechung sinnvoll erscheint.

S. 2755 f.:Art. 199 Abs. 3

Nach der bisherigen Regelung von Artikel 198 Buchstabe f ZPO findet kein Schlichtungsverfahren statt, wenn nach den Artikeln 5 und 6 eine einzige kantonale Instanz für die Streitigkeit zuständig ist. Diese Regelung hat sich nur teilweise bewährt: Aufgrund dieser Regelung muss namentlich auch zur Unterbrechung der Verjährung direkt Klage beim einzigen kantonalen Gericht erhoben werden, wenn die anderen Möglichkeiten nach Artikel 135 Ziffer 2 OR nicht zur Verfügung stehen. Diese Situation kann insbesondere dann auftreten, wenn gegen einen Schuldner kein Betreibungsort in der Schweiz besteht und daher die einfache und kostengünstige Möglichkeit der Schuldbetreibung nicht zur Verfügung steht. Dies wurde bereits kurz nach Inkrafttreten der ZPO in der Motion 13.3845 Romano «Unterbrechung der Verjährung in Verfahren ohne Schlichtungsversuch nach der Zivilprozessordnung» bemängelt. Vermehrt ist bei dieser Ausgangslage offenbar in letzter Zeit dazu übergegangen worden, bei einzigen kantonalen Gerichten nicht einlässlich begründete Klagen einzureichen und diese unmittelbar danach wieder zurückzuziehen, um damit dennoch in den Genuss der verjährungsunterbrechenden Wirkung zu kommen (Vgl. dazu Christof Bergamin, Verjährungsunterbrechung bei Nachbesserung – Zum Problem bei Zuständigkeit eines Handelsgerichts, BR 2017, S. 13; James T. Peter, Verjährungsunterbruch von Ansprüchen mit handelsgerichtlicher Zuständigkeit, Anwaltsrevue 2012, S. 364 ff.). Gleichzeitig erscheint die direkte Einleitung der Klage gerade auch in gewissen Fällen von Artikel 5 ZPO, namentlich bei Verfahren zur Geltendmachung von urheberrechtlichen Ansprüchen gemäss Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a ZPO, oftmals wenig sinnvoll, insbesondere wenn es um Massenverfahren eines Urheberrechtsinhabers beziehungsweise einer Verwertungsgesellschaft gegen eine Vielzahl von Personen geht.

In der Vernehmlassung hatte der Bundesrat daher vorgeschlagen, dass bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5 und 6 eine einzige kantonale Instanz zuständig ist, die klagende Partei zukünftig auch die Klage direkt beim Gericht einreichen könnte. Dieser Vorschlag wurde mehrheitlich begrüsst; gleichzeitig wurden verschiedene Anpassungen angeregt (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.30.). Auch mangels Möglichkeit zur Verjährungsunterbrechung mittels rein privater Schritte im geltenden Recht schlägt der Bundesrat im Lichte dieses Vernehmlassungsergebnisses in Artikel 199 ZPO folgende Regelung vor: In einem neuen Absatz 3 sollen neu die Fälle geregelt werden, in denen nach Wahl der klagenden Partei ein fakultatives Schlichtungsverfahren stattfindet. Diesfalls gelangen die allgemeinen Regelungen gemäss Artikel 201 ff. ZPO zur Anwendung. Kommt es zu keiner Einigung, so erteilt die Schlichtungsbehörde gemäss Artikel 209 Absatz 1 ZPO die Klagebewilligung und die klagende Partei kann die Klage beim zuständigen Gericht einreichen. Denkbar ist auch, dass in einem solchen Schlichtungsverfahren ein Urteilsvorschlag (Art. 210 ZPO) oder ein Entscheid (Art. 212 ZPO) ergeht. Dieses neue Regime soll vorab für sämtliche Streitigkeiten gelten, für die nach Artikel 6 ZPO ein Handelsgericht zuständig ist. Das gleiche soll grundsätzlich auch für die Streitigkeiten gemäss Artikel 5 ZPO gelten; für die Streitigkeiten nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a und c ZPO soll dies jedoch nur gelten, wenn der Streitwert mehr als 30 000 Franken beträgt. In Zukunft kann demnach auch bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit geistigem Eigentum einschliesslich der Streitigkeiten betreffend Nichtigkeit, Inhaberschaft, Lizenzierung, Übertragung und Verletzung solcher Rechte (Art. 5 Abs. 1 Bst. a) sowie bei Streitigkeiten über den Gebrauch einer Firma (Art. 5 Abs. 1 Bst. c) ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden. Dadurch wird Rechtssuchenden auch in diesen Fällen die Möglichkeit dieser raschen und kostengünstigen Streiterledigung geboten, wobei diese bei einem Streitwert von mehr als 30 000 Franken fakultativ ist. Ebenfalls soll die klagende Partei bei Streitigkeiten nach Artikel 8 ZPO ihre Klage wahlweise auch direkt beim Gericht einreichen können.

Vgl. auch AB 2021 S 682 und 693; AB 2022 N 671, 692, 693 und 699; AB 2022 S 651.