Artikel 210
Am 19.12.2024 aktualisiert
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Art. 210 Entscheidvorschlag

1 Die Schlichtungsbehörde kann den Parteien einen Entscheidvorschlag unterbreiten in:

a. Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995;
b. Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- und Pachtverhältnisses betroffen ist;
c. den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 10 000 Franken.

2 Der Entscheidvorschlag kann eine kurze Begründung enthalten; im Übrigen gilt Artikel 238 sinngemäss.

Version vor dem 01.01.2025

Art. 210 Urteilsvorschlag

1 Die Schlichtungsbehörde kann den Parteien einen Urteilsvorschlag unterbreiten in:

a. Streitigkeiten nach dem Gleichstellungsgesetz vom 24. März 1995;
b. Streitigkeiten aus Miete und Pacht von Wohn- und Geschäftsräumen sowie aus landwirtschaftlicher Pacht, sofern die Hinterlegung von Miet- und Pachtzinsen, der Schutz vor missbräuchlichen Miet- und Pachtzinsen, der Kündigungsschutz oder die Erstreckung des Miet- und Pachtverhältnisses betroffen ist;
c. den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 5000 Franken.

2 Der Urteilsvorschlag kann eine kurze Begründung enthalten; im Übrigen gilt Artikel 238 sinngemäss.

Botschaften
Botschaft 2006 S. 7333 f.

Der Urteilsvorschlag nimmt eine Mittelstellung ein zwischen einem behördlichen Vergleichsvorschlag und einem Entscheid. Vergleichsvorschlag ist er insoweit, als ihn jede Partei frei ablehnen kann. Bei Stillschweigen der Parteien hingegen reift er zum rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid.

Für kleinere vermögensrechtliche Streitigkeiten kennen einige Kantone dieses Institut bereits heute. So können die Friedensrichter der Kantone SZ und AG bis zu einem Streitwert von 2000 Franken einen Urteilsvorschlag unterbreiten, im Kanton SG reicht diese Kompetenz sogar bis 5000 Franken. Auch dem Bundesrecht ist er nicht fremd: In bestimmten Streitigkeiten aus Miete und Pacht kann die Schlichtungsbehörde einen sog. Entscheid fällen, der aber im Grunde genommen nur ein Urteilsvorschlag ist.

In der Vernehmlassung blieb der Urteilsvorschlag nicht unbestritten. Dennoch hält der Bundesrat daran fest, denn er kann ein sinnvolles Zusatzinstrument vorprozessualer Streiterledigung sein. Anders als im Vorentwurf (Art. 204 VE) wird er jedoch als freie Option der Schlichtungsbehörde ausgestaltet. Er ist namentlich für Fälle gedacht, in denen – trotz gewisser Vergleichsbereitschaft der Parteien – eine Einigung nicht zustande kommen will.

Doch nicht jede Zivilsache darf durch Urteilsvorschlag abgeschlossen werden, denn die Haupttätigkeit der Schlichtungsbehörde soll das klassische Schlichten bleiben (Art. 210 Abs. 1):

Unbeschränkt zulässig ist er nur auf dem Gebiet des Gleichstellungsrechts (Bst. a), was einem praktischen Bedürfnis dieser spezialisierten Schlichtungsstellen entspricht.

Wie bisher nur in beschränktem Rahmen zulässig ist er dagegen im Miet- und  Pachtrecht (Bst. b). Der  weitergehende  Vorschlag  des  Vorentwurfs wurde in der Vernehmlassung abgelehnt.

Schliesslich ist der Urteilsvorschlag möglich für alle vermögensrechtlichen Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 5000 Franken (Bst. c).

Grundsätzlich ist der Urteilsvorschlag wie ein Entscheid abzufassen und zu eröffnen (Art. 210 Abs. 2). Er braucht aber nicht begründet zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn die Parteien dies verlangen sollten: Denn es bedarf keines Rechtsmittels, um ihn abzulehnen.

(auch) unter der revZPO anwendbarBotschaft 2020 

S. 2723: Ersatz eines Ausdrucks - In der Zivilprozessordnung wird grundsätzlich einheitlich der Begriff «Entscheid» verwendet, ungeachtet der nach wie vor vielfältigen kantonalen Bezeichnungen (vgl. auch Botschaft 2006, 7343). Insofern erscheint die Terminologie «Urteilsvorschlag» im Schlichtungsverfahren inkonsequent (vgl. dazu auch Bruno Lötscher-Steiger, Prüfungs- und Entscheidbefugnisse der Schlichtungsbehörde, in: Fankhauser/Widmer Lüchinger/Klingler/Seiler (Hrsg.), FS Sutter- Somm, Zürich 2016, S. 409 ff., 414, der jedoch den Begriff «Erledigungsvorschlag» vorziehen würde, weil damit die Abgrenzung zum Entscheid besser zum Ausdruck käme). Daher soll dieser Ausdruck durch den näherliegenden «Entscheidvorschlag» ersetzt werden. Dies führt zu Anpassungen in den Artikeln 202 Absatz 4, 203 Absatz 2, 205 Absatz 2, im Gliederungstitel vor Artikel 210, in Artikel 210 Sachüberschrift und Text (Abs. 1 und 2) sowie Artikel 211 Absätze 1, 3 und 4. Dabei handelt es sich um rein terminologische Anpassungen. Soweit im Gesetz an anderer Stelle ausnahmsweise der Ausdruck «Urteil» (entweder separat [so in Art. 54 Abs. 1, Art. 328 Abs. 2 Bst. a, Art. 396 Abs. 2 Bst. a und Art. 407c Abs. 2 ZPO] oder in einer Kombination [so etwa in «Urteilsberatung» (Art. 54 Abs. 2 und Art. 229 Abs. 3 ZPO) und «Urteilsformel» (Art. 238 Bst. d, Art. 293, Art. 295 Abs. 4 und Art. 313 Abs. 2 Bst. c ZPO)]) verwendet wird, soll dies nicht geändert werden. 

S. 2715: Das Schlichtungsverfahren hat sich seit Inkrafttreten der ZPO als rasches, effizientes und kostengünstiges Streitbeilegungsverfahren bewährt: Die Stärkung der vorprozessualen beziehungsweise aussergerichtlichen Streitbeilegung war eines der Kernanliegen bei der Schaffung der ZPO. Sie ist sehr erfolgreich, können doch im Schlichtungsverfahren 50–80 Prozent der Streitigkeiten erledigt werden (Erläuternder Bericht VE, S. 10 ff). Daher verlangte der Kanton Bern mit einer Standesinitiative, das Schlichtungsverfahren und die Schlichtungsverhandlung weiter zu stärken und auszubauen, namentlich indem die Kompetenzen der Schlichtungsbehörden erweitert werden (16.302 Kt. Iv. Bern «Erfolgsmodell Schlichtungsverhandlung ausbauen»). Das Schlichtungsverfahren soll daher in mehreren Punkten ausgebaut werden, was auch in der Vernehmlassung von einer grossen Mehrheit unterstützt und teilweise sogar noch zusätzlich verlangt wurde (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.5): 

- Die Kompetenz der Schlichtungsbehörden, den Parteien einen Urteilsvorschlag zu unterbreiten, soll massvoll erweitert werden, indem ein solcher Urteilsvorschlag zukünftig in den übrigen vermögensrechtlichen Streitigkeiten gemäss Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe c E-ZPO bis zu einem Streitwert von 10000 Franken (statt wie bisher 5000 Franken) möglich sein soll. Trotz teilweiser Forderungen in der Vernehmlassung soll demgegenüber die Streitwertgrenze für Entscheide der Schlichtungsbehörden in vermögensrechtlichen Streitigkeiten unverändert bei 2000 Franken bleiben. 

(...) 

S. 2758 f.: Art. 210 Abs. 1 Einleitungssatz und Bst. c - Die Schlichtungsbehörden können in bestimmten Fällen neben ihrer klassischen Funktion als Schlichtungsstelle sowie ihrer Entscheidmöglichkeit im Rahmen ihrer beschränkten richterlichen Funktion (vgl. Art. 212 ZPO) den Parteien auch einen sogenannten Urteilsvorschlag unterbreiten (Art. 210 ZPO; vgl. zur vorgeschlagenen terminologischen Anpassung «Entscheidvorschlag» statt «Urteilsvorschlag» die Erläuterungen zum Ersatz eines Ausdruckes [S. 2723, oben]). Dieser hat die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids, wenn er nicht innert 20 Tagen seit der schriftlichen Eröffnung von einer Partei abgelehnt wird (Art. 211 Abs. 1 ZPO). 

Gerade das mit der ZPO schweizweit eingeführte Instrument des Urteilsvorschlags hat durchaus Potenzial für die einfache und rasche Erledigung einer Streitsache: Einerseits können damit Verfahren beendet werden, in denen der Abschluss eines Vergleiches knapp gescheitert ist und die Vorschlagsbefugnis der Schlichtungsbehörde von den Parteien auch unter dem Aspekt der Gesichtswahrung als erleichternd empfunden wird. Weiter können damit Säumnisfälle effizient erledigt werden, namentlich wenn die beklagte Partei aus finanziellen Gründen der Verhandlung fernbleibt. Untersuchungen zeigen, dass bereits 2012 schweizweit 3 Prozent aller eingeleiteten Schlichtungsverfahren mit einem Urteilsvorschlag erledigt werden konnten; in Kantonen, die das Instrument des Urteilsvorschlags bereits länger kennen, liegen diese Zahlen teilweise signifikant höher (AG: 8.5% im Jahr 2011; SG: 6.2%. Vgl. Isaak Meier/Sarah Scheiwiller, Erfolg des Schlichtungs- und Urteilsvorschlagsverfahrens nach neuer ZPO, ZSR 2014 I, S. 155 ff., 186 f.). 

Nach Ansicht des Bundesrates lässt sich der Erfolg des Schlichtungsverfahrens noch weiter steigern, wenn die Kompetenzen der Schlichtungsbehörden gerade im Bereich des Urteilsvorschlags vergrössert werden. Daher schlägt der Bundesrat vor, Artikel 210 Absatz 1 Buchstabe c ZPO dahingehend anzupassen, dass die Schlichtungsbehörden neu für vermögensrechtliche Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 10 000 Franken (statt wie bisher nur bis 5000 Franken) einen Urteilsvorschlag unterbreiten können. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung grossmehrheitlich unterstützt, wenn vereinzelt auch sogar der Verzicht auf jegliche Streitwertgrenze für Urteilsvorschläge oder umgekehrt die Beibehaltung des geltenden Rechts verlangt wurde (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.33). Damit geht der Bundesrat betragsmässig noch über den Vorschlag einer Standesinitiative des Kantons Berns hinaus, welche eine Erhöhung auf 8000 Franken anregte (16.302 Kt. Iv. Bern «Erfolgsmodell Schlichtungsverhandlung ausbauen»); demgegenüber hält es der Bundesrat gerade nicht für zielführend, hier zugunsten der Kantone lediglich eine Möglichkeit zur Erhöhung der Kompetenzen der Schlichtungsbehörde vorzusehen, weil damit die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts in Frage gestellt würde. Demgegenüber lehnt der Bundesrat Forderungen nach einer Erhöhung der Streitwertgrenzen für die Entscheidkompetenz der Schlichtungsbehörden (Art. 212 Abs. 1 ZPO) ab, weil dies insbesondere im sogenannten Friedensrichtermodell heikel wäre. In jedem Fall sind die Parteien auf die Wirkungen des Urteilsvorschlags hinzuweisen, insbesondere auf den mit der Annahme des Urteilsvorschlags verbundenen Verzicht auf die erweiterten gerichtlichen Verfahrenshilfen des vereinfachten Verfahrens; dies namentlich dann, wenn die Parteien nicht vertreten sind.