Artikel 89
Am 18.02.2015 aktualisiert
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Art. 89 Verbandsklage

1 Vereine und andere Organisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung, die nach ihren Statuten zur Wahrung der Interessen bestimmter Personengruppen befugt sind, können in eigenem Namen auf Verletzung der Persönlichkeit der Angehörigen dieser Personengruppen klagen.

2 Mit der Verbandsklage kann beantragt werden:

a. eine drohende Verletzung zu verbieten;
b. eine bestehende Verletzung zu beseitigen;
c. die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen, wenn sich diese weiterhin störend auswirkt.

3 Besondere gesetzliche Bestimmungen über die Verbandsklage bleiben vorbehalten.

Message
S. 7288 ff.

Die Verbandsklage dient der kollektiven Interessenwahrung. Als allgemeines Institut wurde sie von Lehre und Rechtsprechung aus dem Persönlichkeitsrecht entwickelt (Art. 28 ZGB). Um ihr auch weitere Gebiete zu erschliessen, wurde sie daneben in mehreren Spezialgesetzen besonders geregelt (so im Immaterialgüter-, Wettbewerbs- und Gleichstellungsrecht; vgl. z.B. Art. 56 Abs. 1 Bst. b MschG, 10 Abs. 2 Bst. b UWG oder 7 Abs. 1 GlG). Der Vorentwurf sah eine einheitliche Regelung für das gesamte Privatrecht vor (Art. 79 VE), was in der Vernehmlassung jedoch stark kritisiert wurde. Befürchtet wurden eine Ausdehnung und Missbrauch des Instituts durch beliebige ad hoc- Gruppierungen. Die Vernehmlassung liess klar erkennen, dass im schweizerischen und europäischen Recht die individuelle Interessenwahrung im Vordergrund steht. Kollektives Vorgehen – zumal hinter dem Schutzschild einer Organisation – hat die Ausnahme zu bleiben. Auch die jüngste Diskussion des Verbandsbeschwerderechts im Verwaltungsverfahren hat dies gezeigt. Der Bundesrat trägt dieser Kritik Rechnung:

Im Wesentlichen beschränkt sich der Entwurf darauf, die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu kodifizieren. Die «allgemeine Verbandsklage» wird daher auf den Schutz der Persönlichkeit von Angehörigen bestimmter Personengruppen beschränkt (Abs. 1 und 2). Besondere Verbandsklagen bleiben somit wie bisher den Spezialgesetzen vorbehalten (Abs. 3). Das jeweilige Spezialgesetz kann dabei eine grosszügigere oder restriktivere Regelung treffen.

Klageberechtigt sind einzig Organisationen von gesamtschweizerischer oder regionaler Bedeutung (Abs. 1). Die Legitimation ist somit wie nach gelten- dem Recht an eine gewisse Repräsentativität geknüpft (vgl. auch Art. 56 Abs. 1 Bst. b MschG; Art. 10 Abs. 2 Bst. b UWG). Dadurch werden Klagen eigens dafür gegründeter ad hoc-Gruppierungen verhindert.

Das Klagerecht der Organisation ist vom Klagerecht der verletzten Einzelperson unabhängig. Die Organisation braucht somit nicht nachzuweisen, dass auch eine betroffene Einzelperson klageberechtigt wäre. Diese moderne Ausprägung der Verbandsklage kennt das schweizerische Recht seit dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb im Jahre 1988 (vgl. Art. 10 UWG).

Auch Organisationen, die keine Mitglieder haben, sind klageberechtigt (z.B. eine Stiftung): Bei der Verbandsklage geht es nicht um den Schutz allfälliger Mitglieder, sondern um die Interessen bestimmter Personengruppen.

Die Statuten der Organisation müssen die Interessenwahrung dieser Gruppe ausdrücklich nennen. Nach geltendem Recht haben es grundsätzlich wirtschaftliche Interessen zu sein, so dass das Klagerecht vorab den Berufsverbänden zukommt. Der Entwurf geht hier einen Schritt weiter: Legitimiert sind auch Institutionen, die einem ideellem Zweck verpflichtet sind.

Die Verbandsklage kann nur die Unterlassung, Beseitigung oder Feststellung einer Verletzung zum Gegenstand haben (Abs. 2). Ausgeschlossen ist wie nach geltendem Recht die Geltendmachung geldwerter Leistungen wie Schadenersatz und Genugtuung zu Handen der betroffenen Einzelpersonen. Diese  reparatorischen Ansprüche bleiben der individuellen Rechtsverfolgung  vorbehalten. Bei der Wahrung eigener Interessen ist der Verband selbstverständlich nicht eingeschränkt.

Auch auf die Einführung der sog. Sammelklage (class action) wird verzichtet. In der Tat ist es dem europäischen Rechtsdenken fremd, dass jemand ungefragt für eine grosse Zahl von Menschen verbindlich Rechte wahrnehmen darf, ohne dass sich die Berechtigten als Parteien am Prozess beteiligen. Die klassischen Möglichkeiten zur Bündelung von Klagen genügen (Streitgenossenschaft und Klagevereinigung, vgl. die Erläuterungen zu Art. 71).

Ausserdem ist die class action selbst in ihrem Herkunftsland (USA) umstritten, denn sie kann zu grossen Organisationsproblemen führen. Bereits das sog. Zulassungsverfahren ist oft äusserst komplex und zieht sich in die Länge. Insbesondere kann die Definition der legitimierten Gruppe umstritten sein, und auch bei der Verteilung des Prozessgewinnes stellen sich Probleme. Folgeprozesse sind geradezu vorprogrammiert. Kommt dazu, dass eine class action die Streitigkeit nicht immer endgültig zu erledigen vermag, denn betroffene Gruppenmitglieder haben die Möglichkeit des opting out. Schliesslich kann die class action auch missbraucht werden. Die eingeklagten Summen sind meist enorm, so dass die beklagte Partei – will sie nicht von einem Tag auf den andern in Überschuldung und Insolvenz geraten – zum Einlenken gezwungen wird (sog. legal blackmail).