Art. 111 Liquidation der Prozesskosten
1 Die Gerichtskosten werden in den Fällen der Kostenpflichtigkeit der Partei, die einen Vorschuss geleistet hat, mit den geleisteten Vorschüssen verrechnet. In den übrigen Fällen wird ein Vorschuss zurückerstattet. Ein Fehlbetrag wird bei der kostenpflichtigen Partei nachgefordert.
2 Die kostenpflichtige Partei hat der anderen Partei die zugesprochene Parteientschädigung zu bezahlen.
3 Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege.
Art. 111 Liquidation der Prozesskosten
1 Die Gerichtskosten werden mit den geleisteten Vorschüssen der Parteien verrechnet. Ein Fehlbetrag wird von der kostenpflichtigen Person nachgefordert.
2 Die kostenpflichtige Partei hat der anderen Partei die geleisteten Vorschüsse zu ersetzen sowie die zugesprochene Parteientschädigung zu bezahlen.
3 Vorbehalten bleiben die Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege.
Gemäss Vorentwurf musste der Vorschuss und die Sicherheitsleistung einer Partei zurückerstattet werden, wenn ihr der Entscheid keine Kosten auferlegte. Dieser Vorschlag ist im Vernehmlassungsverfahren insbesondere mit Blick auf das Inkassorisiko der Kantone stark kritisiert worden. Der Entwurf trägt dieser Kritik Rechnung. Die Gerichtskosten werden daher mit den geleisteten Vorschüssen verrechnet, unabhängig davon, welche Partei – die obsiegende oder die unterliegende – die betreffenden Vorschüsse bezahlt hat. Der Kanton muss somit von der kostenpflichtigen Partei nur noch nachfordern, was mit den Vorschüssen nicht gedeckt werden kann (Abs. 1). Die kostenpflichtige Partei hat der anderen Partei alsdann die geleisteten Vorschüsse zu ersetzen sowie die zugesprochene Parteientschädigung zu bezahlen (Abs. 2). Die obsiegende Partei trägt daher das grössere Inkassorisiko als der Kanton. Dies erscheint jedoch im Zivilprozess, in dem rein private Streitigkeiten ausgetragen werden, gerechtfertigt. Die klagende Partei hat beim Entscheid, ob sie klagen will oder nicht, auch das Inkassorisiko einzukalkulieren; sie kann die Bonität der beklagten Partei vorher abklären. Und die beklagte Partei kann rechtzeitig eine Sicherheit für eine gefährdete Parteientschädigung beantragen (Art. 99). Die Bestimmungen über die unentgeltliche Rechtspflege bleiben vorbehalten (Abs. 3; vgl. die Erläuterungen zu Art. 122).
S. 2707 : Kernpunkte dieses Vorentwurfs waren die folgenden:
– Änderungen beim Kostenrecht: Abbau der Kostenschranken durch Halbierung der maximalen Vorschüsse auf die Hälfte der mutmasslichen Gerichtskosten (Art. 98 VE-ZPO) sowie Anpassung der Regelung über die Liquidation der Prozesskosten (Art. 111 VE-ZPO);
S. 2712 f. : Die vielstimmige Kritik am geltenden Prozesskostenrecht ist berechtigt und wurde auch in der Vernehmlassung von einer Mehrheit der Teilnehmenden bekräftigt. Zur Verbesserung der Situation, insbesondere zur Gewährleistung des Zugangs zum Recht auch für Personen und Parteien, die weder besonders begütert sind noch in den Genuss der unentgeltlichen Rechtspflege gemäss Artikel 117 ff. ZPO kommen, schlägt der Bundesrat folgende Massnahmen vor: […]
– Die Regelung über die Liquidation der Prozesskosten (Art. 111 ZPO) soll dahingehend angepasst werden, dass die Gerichtskosten ausser in den Ausnahmefällen von Artikel 98 Absatz 2 E-ZPO mit den geleisteten Vorschüssen der kostenpflichtigen Partei verrechnet werden; für den Saldo wird entweder ein Fehlbetrag nachgefordert oder ein Überschuss zurückerstattet. Damit tragen nicht mehr die Parteien das Inkassorisiko der Gegenpartei, sondern der Staat. Dies entspricht in vielen Kantonen einer Rückkehr zum bewährten System vor Inkrafttreten der ZPO. Auch dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich unterstützt, jedoch von einer Mehrheit der Kantone unter Hinweis auf die finanziellen Folgen abgelehnt (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.1.1 f.). Dennoch hält der Bundesrat aus prinzipiellen Gründen an seinem Vorschlag fest: Es lässt sich weder mit der Privatautonomie noch mit fiskalischen Interessen rechtfertigen, dass die Parteien das Inkassorisiko für die vom Staat verlangten Gerichtskosten tragen sollen, handelt es sich doch bei der Justiz um eine essentielle Staatsaufgabe. Der geltenden Regelung erwuchs bereits im Zuge der Schaffung der ZPO Kritik, die seither nicht verstummt ist. So hielt die damalige Expertenkommission eine solche Regelung für unzulässig, weil «der Staat [...] sein Inkassorisiko nicht auf die vorschiessende – aber nachträglich «kostenbefreite» – Partei überwälzen [darf].» (Bericht zum Vorentwurf der Expertenkommission, S. 57). Dass der Entwurf in der Folge aufgrund der diesbezüglichen Forderungen der Kantone dennoch die Überbindung auf die Parteien vorsah, wurde ebenfalls stark kritisiert (Vgl. z.B. Thomas Gabathuler, Zivilprozessordnung: Nachbesserungen nötig, plädoyer 4/2008, S. 24 ff.; Thomas Gabathuler, Jede Klage wird zum finanziellen Grossrisiko, plädoyer 1/2008, S. 27 f.). Weil in dieser Regelung eine unbillige Schranke des Zugangs zum Gericht und damit der Rechtsdurchsetzung gesehen wird, hielt die Kritik an (Vgl. zum Beispiel in jüngster Zeit Arnold Marti, Teures Prozessieren, NZZ 2017, S. 2; Dheden C. Zotsang, Prozesskosten nach der Schweizerischen Zivilprozessordnung, Diss. Zürich 2015, S. 257 f.; Martin H. Sterchi, Art. 111 N 2 f., in: BK ZPO, Bern 2012) und wurde eine Revision gefordert (Zum Beispiel Arnold Marti, Teures Prozessieren: Rechtsschutz auch für Nicht-Gutbetuchte, NZZ 26. Februar 2016, S. 12; Beda Stähelin, Gerichtskostenvorschusspflicht und Zugang zum Recht, «Justice – Justiz – Giustizia» 2017/3).
Diese Vorschläge lagen in zentralen Punkten bereits bei der Schaffung der ZPO vor, wurden aber in den politischen Diskussionen damals primär aus fiskalischen Gründen abgelehnt. Nichts hindert den Gesetzgeber aber daran, mit der neunjährigen Erfahrung auf seine damaligen Entscheide zurückzukommen und heute in Bezug auf die Kostenvorschüsse und Prozessliquidation zu besseren Lösungen zu kommen: Denn die bestehende Lösung führt in Verbindung mit den in verschiedenen Kantonen teilweise deutlich gestiegenen Prozesskostentarifen einerseits und der Regelung über die Liquidation der Prozesskosten (vgl. Art. 111 ZPO) andererseits zu einer übermässigen Einschränkung des Zugangs zum Gericht, zumal die Regelung nach der derzeitigen Auslegung als eigentliche Pflicht der klagenden Partei ausgelegt wird, obwohl sie vom damaligen Gesetzgeber klar als Kann-Vorschrift konzipiert wurde.
S. 2744 : Art. 111 Abs. 1 und 2
Nach dem geltenden Wortlaut dieser Bestimmung werden die Gerichtskosten mit den geleisteten Vorschüssen der Parteien verrechnet und ein Fehlbetrag nachgefordert; im Übrigen erfolgt die Auseinandersetzung direkt zwischen den Parteien, indem die kostenpflichtige Partei der anderen Partei geleistete Vorschüsse zu ersetzen hat (Art. 111 Abs. 1 und 2 ZPO). Damit wird das Inkassorisiko für die Gerichtskosten vollständig den Parteien beziehungsweise der obsiegenden Partei überbunden, indem diese für die Rückforderung geleisteter Kostenvorschüsse ausschliesslich auf die Gegenpartei verwiesen wird. In der Konsequenz bedeutet dies, dass eine aus gutem Grund klagende und in der Folge vollumfänglich obsiegende Partei in einem ersten Schritt grundsätzlich auch die Gerichtskosten zu tragen hat, indem ihr dafür lediglich eine Ersatzforderung gegenüber dem Prozessgegner zusteht.
Insgesamt kann damit nicht gesagt werden, dass das geltende Regime befriedigend wäre, zumal diesem seit seiner Schaffung Kritik erwächst (vgl. Ziff. 2.1 und Ziff. 4.1.1). Daher ist auch der Bundesrat der Ansicht, dass das Kosten- und Insolvenzrisiko für die Gerichtskosten vom Staat nicht vollumfänglich auf die Parteien abgewälzt werden darf und die Regelung im Sinne des ursprünglichen Vernehmlassungsentwurfs zur ZPO anzupassen ist. Dieser Vorschlag wurde auch in der Vernehmlassung von einer Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden unterstützt, auch wenn eine Mehrheit der Kantone sich ablehnend äusserte (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.1 und 5.21).
Absatz 1 ist daher entsprechend anzupassen und zu ergänzen: Die von den Parteien geleisteten Vorschüsse werden wie bisher im Umfang der ihnen auferlegten Gerichtskosten mit diesen verrechnet; die Vorschüsse werden im Weiteren zurückerstattet. Im Gegensatz zur Vernehmlassungsvorlage von der Rückerstattung vorzubehalten gilt es auch die Fälle von Artikel 98 Absatz 2 des Entwurfs, in denen die klagende Partei auch in Zukunft zur Leistung eines Vorschusses bis zur Höhe der gesamten mutmasslichen Gerichtskosten verpflichtet werden kann. Davon betroffen sind insbesondere die SchKG-Summarsachen. Dies führt zu einer Umformulierung und Ergänzung des bisherigen ersten Satzes und einem neuen zweiten Satz. Der neue dritte Satz enthält die inhaltlich unveränderte Regelung, wonach ein allfälliger Fehlbetrag bei der kostenpflichtigen Partei nachgefordert wird.
Als Folge dieser Anpassung ist auch Absatz 2, der den Kostenausgleich zwischen den Parteien bezüglich Vorschüssen und Parteientschädigung regelt, entsprechend anzupassen: In Zukunft hat die kostenpflichtige Partei der anderen Partei die geleisteten Vorschüsse nur, aber immerhin soweit zu ersetzen, als deren Rückerstattung nicht direkt durch das Gericht erfolgt; wie bisher hat sie die zugesprochene Parteientschädigung (direkt) an die Gegenpartei zu bezahlen. Mit Bezug auf die Ausnahmen gemäss Artikel 98 Absatz 2 E-ZPO ändert sich mit dieser Anpassung nichts.
S. 2780 : Die Vorlage hat in verschiedener Hinsicht Auswirkungen auf die Kantone: […]
– Vorgeschlagen wird die Anpassung der Regelung über die maximale Höhe der Gerichtskostenvorschüsse (vgl. Art. 98 E-ZPO) und die Liquidation der Prozesskosten (vgl. Art. 111 Abs. 1 und 2 E-ZPO). Weil die Justiz als essentielle Staatsaufgabe in einem Rechtsstaat immer mit Kosten und (Staats-) Ausgaben verbunden ist, werden die Vorschläge finanzielle Auswirkungen auf die Kantone haben, voraussichtlich nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar, wie von Seiten der Kantone in der Vernehmlassung unterstrichen wurde:301 Einerseits werden die Gerichtskostenvorschüsse in der Praxis nach der klaren Erwartung geringer ausfallen, und andererseits können sich die Kantone bei der Liquidation der Gerichtskosten nicht direkt aus den Vorschüssen schadlos halten. Dies ist jedoch nicht zu vermeiden, will man die Parteien über die unvermeidbaren Prozess- und Prozesskostenrisiken eines Zivilprozesses hinaus zumindest vom Insolvenzrisiko für die Gerichtskosten entlasten, wie dies bereits bei der Schaffung der ZPO ursprünglich die Absicht war. Gegenüber dem Vorentwurf wurden diese finanziellen Auswirkungen jedoch deutlich reduziert, indem in gewissen Fällen weiterhin ein Kostenvorschuss in Höhe der gesamten Gerichtskosten erhoben werden kann und damit auch das Insolvenzrisiko unverändert bei der obsiegenden Partei liegt (vgl. Art. 98 Abs. 2 E-ZPO in Verbindung mit Art. 111 Abs. 1 E-ZPO). Die finanziellen Auswirkungen lassen sich weder insgesamt noch für den einzelnen Kanton quantifizieren oder prognostizieren, zumal sie direkt von der jeweiligen kantonalen Gerichts- und Behördenorganisation sowie der Gebühren- und Kostenstruktur abhängen. Die bisherigen Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass sich die Ausfälle der Kantone für nicht oder nicht rechtzeitig bezahlte Gerichtskosten mit einem effizienten Inkassosystem markant senken lassen.
S. 2782 : Mit den vorliegenden Anpassungen der ZPO soll die zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und Rechtspflege weiter verbessert und effizienter gemacht werden. Dies soll sowohl für Privatpersonen als insbesondere auch für Unternehmen dazu führen, dass die Kosten der Rechtsdurchsetzung sinken. Bestehende Kostenschranken im geltenden Recht, namentlich die hohen Prozesskostenvorschüsse (vgl. Art. 98 ZPO) sowie das von den Parteien zu tragende Insolvenzrisiko für die Gerichtskosten (vgl. Art. 111 ZPO) und damit die teilweise kritisierten «Paywalls» der Justiz sollen abgebaut werden.
Änderungen des Textes im Verlauf der parlamentarischen Beratungen: Vgl. AB 2021 E 675; AB 2022 N 671, 673, 690; AB 2022 E 643.