Art. 167a
1 Eine Partei kann die Mitwirkung und die Herausgabe von Unterlagen im Zusammenhang mit der Tätigkeit ihres unternehmensinternen Rechtsdienstes verweigern, wenn:
a. sie als Rechtseinheit im schweizerischen Handelsregister oder in einem vergleichbaren ausländischen Register eingetragen ist;
b. der Rechtsdienst von einer Person geleitet wird, die über ein kantonales Anwaltspatent verfügt oder in ihrem Herkunftsstaat die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs erfüllt; und
c. die betreffende Tätigkeit bei einer Anwältin oder einem Anwalt als berufsspezifisch gelten würde.
2 Eine dritte Person kann die Mitwirkung und die Herausgabe von Unterlagen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in einem unternehmensinternen Rechtsdienst unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 verweigern.
3 Die Parteien und die dritten Personen können Entscheide über die Verweigerung der Mitwirkung nach Absatz 1 und 2 mit Beschwerde anfechten.
4 Die Kosten für Streitigkeiten über das Verweigerungsrecht nach den Absätzen 1 und 2 werden der Partei oder der dritten Person auferlegt, die sich darauf beruft.

S. 2716 f.: Die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit sogenannte Unternehmensjuristinnen und -juristen – juristisch ausgebildete Personen, die im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses für ein Unternehmen juristische Dienstleistungen erbringen – nach Schweizer Recht besondere Geheimnis- oder Mitwirkungsverweigerungsrechte haben, ist seit langer Zeit Gegenstand juristischer und politischer Diskussion. Davon zeugen nicht zuletzt zahlreiche politische Vorstösse (Vgl. Mo. RK-N 07.3281 «Pflichten und Rechte von rechtsberatend oder forensisch tätigen Angestellten. Gleichstellung mit freiberuflichen Anwältinnen und Anwälten» und zuletzt Po. RK-S 16.3263 «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen».). Nach geltendem Recht kommen die besonderen strafrechtlichen Geheimnispflichten (vgl. Art. 321 Strafgesetzbuch [StGB]) und daran anknüpfend die besonderen Mitwirkungsverweigerungsrechte lediglich Anwältinnen und Anwälten zu (Art. 163 Abs. 1 Bst. b und Art. 166 Abs. 1 Bst. b sowie Art. 160 Abs. 1 Bst. b ZPO. Vgl. 07.3281 Mo. RK-N «Pflichten und Rechte von rechtsberatend oder forensisch tätigen Angestellten. Gleichstellung mit freiberuflichen Anwältinnen und Anwälten»; 15.409 Pa. Iv. Markwalder «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen»; 16.3263 Po. RK-S «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen» sowie Othmar Strasser, Das Legal Privilege des In-House-Counsel zum Schutz unternehmensinterner Risikoinformationen von Banken im Strafverfahren, ZSR 2018, S. 523 ff. und Ernst Staehelin, Das Legal Privilege de lege ferenda aus Sicht eines Vertreters des Anwaltsverbandes, in: Seitz/Wohlers (Hrsg.), Anwaltsgeheimnis, Basel 2019, S. 199 ff.). Vor diesem Hintergrund wurde die Parlamentarische Initiative 15.409 Markwalder «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen» eingereicht und ihr zwischenzeitlich Folge gegeben. Sie verlangt einen neuen Artikel 160a ZPO zur Schaffung eines Mitwirkungsverweigerungsrechts für Unternehmensjuristinnen und -juristen im Zivilprozess. Damit soll eine mit dem Ausland vergleichbare Regelung geschaffen werden, die prozessuale Nachteile für Schweizer Unternehmen vermeiden soll.
Zukünftig sollen sich Juristinnen und Juristen, die im Angestelltenverhältnis bei einem Unternehmen beschäftigt sind, unter bestimmten Voraussetzungen in Zivilverfahren auf ein besonderes Mitwirkungsverweigerungsrecht berufen können (vgl. Art. 160a E-ZPO und dessen Erläuterungen). Dieser Vorschlag entspricht dem Formulierungsvorschlag der parlamentarischen Initiative Markwalder 15.409, welcher beide Räte beziehungsweise die zuständigen Kommissionen Folge gegeben haben (AB NR 2016 1496). Der Bundesrat hat den Vorschlag der parlamentarischen Initiative unverändert in die Vernehmlassungsvorlage übernommen, weil er ihn für die einzige erfolgsversprechende Kompromisslösung erachtete (Erläuternder Bericht VE, S. 21, 64). Die Reaktionen in der Vernehmlassung waren zwar sehr gegensätzlich; insgesamt hat sich jedoch eine Mehrheit der Parteien und Organisationen sowie eine Minderheit der Kantone unter Hinweis auf die – mit Blick auf die Regelungen im Ausland – erkannte Notwendigkeit einer solchen Regelung im Interesse schweizerischer Unternehmen und ihre Mitarbeitenden für den Vorschlag ausgesprochen. Eine Minderheit erachtete den Vorschlag demgegenüber als problematisch und lehnte ihn insbesondere ab, weil damit eine Ungleichbehandlung verbunden sei und eine Erschwerung der Wahrheitsfindung und Rechtsdurchsetzung befürchtet wurde (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.4 und 5.28). Bei diesem Ergebnis übernimmt der Bundesrat den Vorschlag in seinen Entwurf, um damit auch derzeitige prozessuale Nachteile von Schweizer Unternehmen im Ausland zu beseitigen (Vgl. dazu ausführlich Gutachten Nr. 16-156 des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung vom 11. September 2017), auch wenn er ein gewisses Verständnis für die Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Regelung hat. Demgegenüber verzichtet der Bundesrat auf die vereinzelt gewünschte Ausdehnung der Ausnahmeregelung auf Schadensdienste von Rechtsschutzversicherungen.
S. 2748 ff.: Art. 160a Ausnahme für unternehmensinterne Rechtsdienste
Nach geltendem Recht kommen die besonderen strafrechtlichen Geheimnispflichten (vgl. Art. 321 StGB) und daran anknüpfend die besonderen Mitwirkungsverweigerungsrechte lediglich Anwältinnen und Anwälten zu (Art. 163 Abs. 1 Bst. b und Art. 166 Abs. 1 Bst. b ZPO sowie Art. 160 Abs. 1 Bst. b ZPO. Vgl. 07.3281 Mo. RK-N «Pflichten und Rechte von rechtsberatend oder forensisch tätigen Angestellten. Gleichstellung mit freiberuflichen Anwältinnen und Anwälten»; 15.409 Pa. Iv. Markwalder «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen»; 16.3263 Po. RK-S «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen».). Vor diesem Hintergrund wurde die Parlamentarische Initiative 15.409 Markwalder «Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen» eingereicht, der Folge gegeben wurde. Sie verlangt die Schaffung eines neuen Artikels 160a ZPO zur Schaffung eines Mitwirkungsverweigerungsrechts für Unternehmensjuristinnen und -juristen im Zivilprozess. Dieser vom Bundesrat im Rahmen der Vernehmlassung zur Diskussion gestellte Vorschlag wurde von einer Mehrheit der Teilnehmer und insbesondere von Seiten der Wirtschaft unterstützt, auch wenn sich eine Mehrheit der Kantone dagegen ausgesprochen hat (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 4.4 und 5.28). Bei diesem Ergebnis übernimmt der Bundesrat den Vorschlag in seinen Entwurf, um damit auch derzeitige prozessuale Nachteile von Schweizer Unternehmen im Ausland zu beseitigen (vgl. dazu ausführlich Gutachten Nr. 16-156 des Schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung vom 11. September 2017), auch wenn er ein gewisses Verständnis für die Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Regelung hat (vgl. Ziff. 4.1.4). Demgegenüber verzichtet der Bundesrat auf die vereinzelt gewünschte Ausdehnung der Ausnahmeregelung auf Schadensdienste von Rechtsschutzversicherungen, aber auch auf eine entsprechende Anpassung in weiteren Erlassen (Vgl. Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.28 sowie Roman Huber, Interne Untersuchungen und Anwaltsgeheimnis Entwicklungen und Eckpunkte einer «Best Practice» für Unternehmen, GesKR 2019, S. 65 ff., 69.).
Im neuen Artikel 160a E-ZPO soll eine besondere Ausnahme von der generellen Mitwirkungspflicht gemäss Artikel 160 ZPO für unternehmensinterne Rechtsdienste wie folgt geschaffen werden:
– Nach Absatz 1 Einleitungssatz gilt die Ausnahme von der generellen Mitwirkungspflicht sowohl für die Parteien eines Zivilverfahrens als auch für Dritte. Handelt es sich bei der Partei um eine juristische Person, so gilt die Ausnahme für ihre (faktischen) Organe, die im Beweisverfahren wie eine Partei behandelt werden (vgl. Art. 159 ZPO), weil für Organträger dieselben Mitwirkungsgebote und Verweigerungsrechte gelten wie für die Prozesspartei selbst (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7315 f.; Franz Hasenböhler, Art. 159 N 22, in: ZK ZPO, 3. Aufl., Zürich 2016). Die Ausnahme gilt für Dritte, soweit diese einen unternehmensinternen Rechtsdienst haben oder es sich bei ihnen um Personen eines solchen handelt.
– Die Ausnahme ist auf die Tätigkeit des unternehmensinternen Rechtsdienstes beschränkt; nur insoweit besteht für die von der Ausnahme betroffenen Personen keine Mitwirkungspflicht (Abs. 1 Einleitungssatz). Gleichzeitig muss es sich nach Buchstabe a bei der betreffenden Tätigkeit um eine Tätigkeit handeln, die bei einer Anwältin oder einem Anwalt als berufsspezifisch gelten würde. Damit wird an die gängige Voraussetzung des anwaltlichen Berufsgeheimnisschutzes angeknüpft; diesen kann eine Anwältin oder ein Anwalt lediglich für ihre berufsspezifische Tätigkeit beanspruchen. Davon sind zum Beispiel private, politische oder soziale Tätigkeiten einer Anwältin oder eines Anwalts abzugrenzen, aber auch überwiegend kaufmännische Tätigkeiten wie die Vermögensverwaltung oder die Anlage von Geldern, soweit diese nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der anwaltlichen Tätigkeit steht (vgl. BGE 120 Ib 112 E. 4; 112 Ib 606).
– Sodann ist weiter vorausgesetzt, dass der unternehmensinterne Rechtsdienst, für dessen berufsspezifische Tätigkeit eine Ausnahme von der Mitwirkungspflicht beansprucht werden kann, unter der Leitung einer Person steht, die über ein kantonales Anwaltspatent verfügt oder in ihrem Herkunftsstaat die fachlichen Voraussetzungen für die Ausübung des Anwaltsberufs erfüllt (Bst. b). Zumindest die Leitung des unternehmensinternen Rechtsdienstes hat somit über die spezifischen Qualifikationen einer Anwältin oder eines Anwalts zu verfügen; damit soll auch eine gewisse fachliche Qualität dieses Rechtsdienstes gewährleistet und zugleich sichergestellt werden, dass insbesondere die Berufsspezifität des Rechtsdienstes bekannt und anerkannt ist. Auch wenn diese Voraussetzung nach einer Minderheit in der Vernehmlassung sachlich nicht gerechtfertigt erscheinen mag, so soll als weiteres indirektes Qualitätskriterium dennoch daran festgehalten werden.
– Diese Ausnahme von der allgemeinen Mitwirkungspflicht erstreckt sich nach Absatz 2 wie bei der anwaltlichen Korrespondenz gemäss Artikel 160 Absatz 1 Buchstabe b ZPO auch auf die Unterlagen aus dem Verkehr mit dem betroffenen unternehmensinternen Rechtsdienst. Dabei spielt es – wie bei der Anwaltskorrespondenz – auch keine Rolle, ob sich die Unterlagen im Herrschaftsbereich des unternehmensinternen Rechtsdienstes befinden oder nicht.
Vgl. auch (Ersetzung von Art. 160a E-ZPO durch Art. 167a ZPO und Änderungen) AB 2021 S 680 - 683; AB 2022 N 692 - 697, 699 f.; AB 2022 S 646; AB 2022 N 2260.