Artikel 177
Am 18.12.2024 aktualisiert
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Art. 177 Begriff

Als Urkunden gelten Dokumente, die geeignet sind, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen, wie Schriftstücke, Zeichnungen, Pläne, Fotos, Filme, Tonaufzeichnungen, elektronische Dateien und dergleichen sowie private Gutachten der Parteien.

Version vor dem 01.01.2025

Art. 177 Begriff

Als Urkunden gelten Dokumente wie Schriftstücke, Zeichnungen, Pläne, Fotos, Filme, Tonaufzeichnungen, elektronische Dateien und dergleichen, die geeignet sind, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen.

Botschaften
Botschaft 2006 S. 7322

Im Hinblick auf die rasche technische Entwicklung wird der Urkundenbegriff weit gefasst (Art. 177). Das Dokument muss lediglich geeignet sein, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen (Beweiseignung). Anders als bei der strafrechtlichen Urkundendefinition (Art. 110 Ziff. 5 StGB) ist somit nicht erforderlich, dass es zudem für den Beweis bestimmt sein muss (Beweisbestimmung). Rein beweisrechtlich ist einzig seine Eignung als Erkenntnisquelle relevant. Erfasst werden sowohl öffentliche wie auch private Urkunden (vgl. auch Art. 170 VE).

Die Bestimmung enthält eine beispielartige Aufzählung von Dokumenten mit Urkundenqualität, insbesondere werden auch die elektronischen Datenträger genannt. Digitalisierte Dokumente müssen daher gleichermassen zum Beweis zugelassen werden wie herkömmliche Datenträger (vgl. auch Art. 957 Abs. 4 OR, der aufgehoben werden kann; Ziff. 5 des Anhangs). Das folgt auch aus dem Recht auf Beweis (Art. 152). Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine genuin digitale Datei oder beispielsweise um ein eingescanntes Papierdokument handelt.

(auch) unter der revZPO anwendbarBotschaft 2020 

S. 2751 f.: Art. 177

Artikel 168 Absatz 1 ZPO enthält einen abschliessenden Katalog der im Zivilprozess zulässigen Beweismittel (sog. numerus clausus der Beweismittel. Vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7320 sowie BGE 141 III 433 E. 2.5.1 unter Hinweis auf BGer Urteil 5A_957/2012 vom 28. Mai 2013 E. 2); zulässige Beweismittel sind neben Zeugnis, Augenschein, Gutachten, schriftlicher Auskunft sowie Parteibefragung und Beweisaussage auch Urkunden. Artikel 177 ZPO definiert sodann, welche Dokumente als Urkunde im Sinne der ZPO gelten; nach dem Wortlaut des Gesetzes sind dies Schriftstücke, Zeichnungen, Pläne, Fotos, Filme, Tonaufzeichnungen, elektronische Dateien und dergleichen, die geeignet sind, rechtserhebliche Tatsachen zu beweisen. Auf der Grundlage dieser Gesetzesbestimmung hat das Bundesgericht entschieden, dass Partei- oder Privatgutachten – also Gutachten von sachverständigen Personen, die nicht gemäss Artikel 183 ff. ZPO vom Gericht angeordnet und eingeholt, sondern von einer Partei selbst in Auftrag gegeben werden (Vgl. zum Begriff David Rüetschi, Das Parteigutachten unter der neuen ZPO, in: Bundi/Schmidt (Hrsg.), FS Meissner, Bern 2012, S. 3 ff., 11 f.) – nicht als Urkunden gemäss Artikel 177 ZPO gelten und damit kein Beweismittel im Sinne von Artikel 168 Absatz 1 ZPO darstellen (BGE 141 III 433 E. 2). Dies ergebe sich vorab daraus, dass bei der Schaffung der ZPO Partei- oder Privatgutachten nicht nur als Gutachten, sondern als Beweismittel insgesamt ausgeschlossen worden seien. Dieser Entscheid steht im Widerspruch zu einem grossen Teil der Lehre (Vgl. z.B. Thomas Weibel, Art. 177 N 4, in: ZK ZPO, 3. Aufl., Zürich 2016; Hans Schmid, Art. 177 N 3, in: KUKO ZPO, 2. Aufl., Basel 2014; Andreas Binder/Roman S. Gutzwiller, Das Privatgutachten – eine Urkunde gemäss Art. 177 ZPO, ZZZ 2013, S. 171 ff.; wohl auch François Vouilloz, Le témoignage écrit, RVJ 2016 S. 343 ff.; a.A. Heinrich Andreas Müller, Art. 177 N 11, in: DIKE ZPO, 2. Aufl., Zürich 2016; bedauernd auch David Rüetschi, Das Parteigutachten unter der neuen ZPO, in: Bundi/Schmidt (Hrsg.), FS Meissner, Bern 2012, S. 3 ff, 14; differenzierend Philippe Schweizer, Art. 177 N 4, in: CR CPC, 2. Aufl., Basel 2019) und führt daher auch zu Kritik an der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (so Francesco Trezzini/François Bohnet, L’expertise privée selon l’ATF 141 III 433 – Une preuve imparfaite issue d’un concept imparfait, ZSR 2017 I S. 367 ff.; Hans Schmid, Privatgutachten im Zivilprozess, SJZ 2016, S. 527 ff.).

Nach Ansicht des Bundesrates ist diese Rechtslage nicht befriedigend und sollte daher angepasst werden. Der Bundesrat schlägt vor, die Urkundenqualität von privaten Gutachten der Parteien ausdrücklich im Gesetz festzuhalten. Damit gelten solche Partei- oder Privatgutachten unter den allgemeinen Voraussetzungen als Urkunden und stellen daher als solche auch ein zulässiges Beweismittel im Sinne von Artikel 168 Absatz 1 Buchstabe b ZPO dar. Als solche unterliegen selbstverständlich auch Partei- oder Privatgutachten der freien Beweiswürdigung des Gerichts gemäss Artikel 157 ZPO, und ihr Beweiswert ergibt sich daher im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände (z.B. Beziehungen der Parteien zum Gutachter sowie Auftragserteilung, Prozess und Ablauf der Einholung des Gutachtens, Fachkunde des Parteigutachters etc.). Damit wird das Beweisrecht der ZPO in einem wesentlichen Punkt verbessert. Diese Anpassung ist auch angesichts der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung zu Partei- oder Privatgutachten kohärent (Vgl. dazu z.B. BGE 125 V 351). In der Vernehmlassung unterstützte eine Mehrheit der Teilnehmenden diesen Vorschlag (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.29. Vgl. auch Mirco Ceregato, Der Vorentwurf zur Revision der Schweizerischen Zivilprozessordnung – Übersicht und Würdigung, Vorentwurf ZPO-Revision vom 2. März 2018, Jusletter 10. September 2018, Rz. 114).