Art. 270
1 Wer Grund zur Annahme hat, dass gegen ihn ohne vorgängige Anhörung die Anordnung einer superprovisorischen Massnahme, eines Arrests nach den Artikeln 271–281 SchKG oder einer anderen Massnahme beantragt wird, kann seinen Standpunkt vorsorglich in einer Schutzschrift darlegen.
2 Die Schutzschrift wird der Gegenpartei nur mitgeteilt, wenn diese das entsprechende Verfahren einleitet.
3 Die Schutzschrift ist sechs Monate nach Einreichung nicht mehr zu beachten.
Wer befürchtet, dass gegen ihn demnächst eine superprovisorische Massnahme getroffen wird, braucht nicht tatenlos abzuwarten, ob sich die Drohung tatsächlich verwirklicht. Vielmehr kann er sich mit einer sog. Schutzschrift an das zuständige Gericht wenden und die Gründe darlegen, die gegen die Massnahme oder zumindest gegen eine überfallartige Anordnung sprechen (Abs. 1). Mit der Schutzschrift greift eine vorausschauende potentielle Gegenpartei ihrem rechtlichen Gehör vor. Andererseits steht das Gericht einem superprovisorischen Gesuch – wird es wirklich gestellt – auch nicht mehr ganz unvoreingenommen gegenüber. Namentlich in immaterialgüter- und wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten ist die Schutzschrift von Bedeutung, denn sie kann grossen Schaden verhindern. Entsprechend wurde ihre allgemeine Einführung in der Vernehmlassung begrüsst. Als modernes Verteidigungsmittel ist die Schutzschrift vielen europäischen Staaten bekannt. Auch in der Schweiz hat sie sich – als Institut des ungeschriebenen Prozessrechts – zu etablieren begonnen, vor allem in den vier Kantonen mit Handelsgerichten. Einsetzbar ist sie gegen sämtliche Massnahmen, die ohne vorgängige Anhörung verfügt werden können, auch gegen solche ausserhalb der ZPO. Zu denken ist insbesondere an den Arrest nach SchKG oder an das einseitige Exequaturverfahren nach dem Lugano-Übereinkommen. Der Entwurf nimmt – einem Anliegen der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer folgend – auch zur kontroversen Frage Stellung, ob die Schutzschrift dem potentiellen gesuchstellenden Partei sofort zur Kenntnis zu bringen ist. Dies wird verneint (Abs. 2), denn sonst würde der Zweck der Schutzschrift vereitelt. Statt einer vorausschauenden Stellungnahme verkäme sie praktisch zu einem Hilfsmittel (Checkliste) der gesuchstellenden Partei: Diese könnte die Argumente Punkt für Punkt entkräften, ohne dass die bedrohte Partei nochmals Stellung nehmen dürfte. Da die Schutzschrift jedoch einem Verfahren vorgreift, muss ihre Wirksamkeit zeitlich begrenzt werden (Abs. 3). Nach sechs Monaten wird sie unbeachtlich und kann der betreffenden Partei ohne weiteres zurückgeschickt werden.