Artikel 71
Am 12.02.2023 aktualisiert
12
4
22
1

Art. 71 Einfache Streitgenossenschaft

1 Sollen Rechte und Pflichten beurteilt werden, die auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen, so können mehrere Personen gemeinsam klagen oder beklagt werden.

2 Die einfache Streitgenossenschaft ist ausgeschlossen, wenn für die einzelnen Klagen nicht die gleiche Verfahrensart anwendbar ist.

3 Jeder Streitgenosse kann den Prozess unabhängig von den andern Streitgenossen führen.

Message
S . 7281

Absatz 1 definiert die einfache Streitgenossenschaft. Voraussetzung für ein gemeinsames Vorgehen ist das Vorliegen gleichartiger Tatsachen oder Rechtsgründe. Zu denken ist etwa an die Mieterinnen und Mieter eines Mehrfamilienhauses, die gemeinsam eine Mietzinserhöhung anfechten, oder an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, welche sich gemeinsam gegen eine ungerechtfertigte Massenentlassung wehren. Denkbar ist auch, dass Konsumentinnen und Konsumenten vom gleichen fehlerhaften Produkt betroffen sind und gemeinsam gegen den Hersteller oder die Herstellerin klagen. Hier übernimmt die Streitgenossenschaft gewissermassen die Funktion einer «Sammelklage», mit dem bedeutsamen Unterschied freilich, dass jede klagende Person Parteistellung hat (vgl. die Erläuterungen zu Art. 91) und aus freiem Willen am Verfahren teilnimmt. Aktive einfache Streitgenossenschaften (mehrere Kläger oder Klägerinnen gegen eine beklagte Person) sind freiwillige Streitgenossenschaften, denn anders als bei der notwendigen könnten die Klagen auch getrennt erhoben werden. Nur aus Zweckm.ssigkeitsgründen werden sie in einem Prozess vereinigt – nicht weil es das materielle Recht verlangt. Einfache Streitgenossenschaften sind auch auf der Beklagtenseite denkbar, so bei der Klage einer geschädigten Person gegen mehrere Schädiger. Nach 

Absatz 2 ist die subjektive Klagenhäufung – so wird die Streitgenossenschaft auch genannt – nur dann zulässig, wenn für sämtliche Ansprüche die gleiche Verfahrensart gilt (ordentliches, vereinfachtes oder summarisches Verfahren). Das entspricht dem geltenden Recht. Trotz Zusammenrechnung des Streitwerts bleibt die Verfahrensart erhalten (Art. 93 Abs. 2). Wenn sich somit zehn Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu einer Streitgenossenschaft zusammenschliessen und gegen ihren Arbeitgeber je 5000 Franken einklagen, so bleibt das vereinfachte Verfahren anwendbar (Art. 243), obwohl der Streitwert nun insgesamt 50 000 Franken beträgt. Gerade auf dem Gebiet des sozialen Privatrechts würde der drohende Wechsel ins ordentliche Verfahren die Bildung von Streitgenossenschaften faktisch ausschliessen. 

Absatz 3 nimmt eine Forderung aus dem Vernehmlassungsverfahren auf und bestimmt, dass jeder Streitgenosse den Prozess unabhängig von den anderen führen kann.