Art. 152 Recht auf Beweis
1 Jede Partei hat das Recht, dass das Gericht die von ihr form- und fristgerecht angebotenen tauglichen Beweismittel abnimmt.
2 Rechtswidrig beschaffte Beweismittel werden nur berücksichtigt, wenn das Interesse an der Wahrheitsfindung überwiegt.
Das Recht auf Beweis – der sog. Beweisanspruch – ist ein wesentlicher
Ausfluss des rechtlichen Gehörs (
Art. 53
). Es gewährleistet den Parteien, für rechtserhebliche Sachvorbringen
zum Beweis zugelassen zu werden, sofern das beantragte Beweismittel tauglich
ist sowie form- und fristgereicht vorgebracht wird (Abs. 1). Dieses zentrale
Parteirecht steht im Spannungsfeld zu der sog. antizipierten Beweiswürdigung:
Danach kann das Gericht Beweisanträge ablehnen, wenn es seine Überzeugung
durch andere Beweismittel bereits gewonnen hat oder wenn es das offerierte
Beweismittel als untauglich hält. Der Vorentwurf hatte eine entsprechende
Regelung vorgesehen (Art. 147 Abs. 2 VE), die jedoch in der Vernehmlassung
stark kritisiert wurde. Der Entwurf trägt dieser Kritik Rechnung und erwähnt
die antizipierte Beweiswürdigung nicht mehr. Das bedeutet jedoch nicht,
dass sie künftig von Bundesrechts wegen ausgeschlossen wäre. Vielmehr ist
sie der freien Beweiswürdigung inhärent: Kein Gericht ist nach heutiger
Praxis gezwungen, allen Beweisanträgen unbesehen und unbeschränkt stattzugeben.
Vielmehr kann eine Partei aufgefordert werden, aus einer Vielzahl von Anträgen
eine Selektion zu treffen. Falls sie dieser Aufforderung nicht nachkommt,
kann das Gericht selber eine Triage vornehmen und die Beweisabnahme auf
ein vernünftiges Mass beschränken. Wenn das Gericht seine Überzeugung schliesslich
gebildet hat und das Beweisverfahren abschliessen will, so muss es neuen
Beweisanträgen grundsätzlich nur Folge geben, wenn sie zulässige Noven
betreffen oder wenn das Gericht seine Feststellungen einzig auf Indizien
oder allgemeine Erfahrungssätze zu stützen vermag. In Interesse eines konzentrierten
Verfahrens ist die antizipierte Beweiswürdigung ein notwendiger Ausgleich
zum Recht auf Beweis.
Im Zusammenhang mit dem Beweisanspruch ist sodann die Frage der Verwertbarkeit
unrechtmässig beschaffter Beweismittel zu beantworten (Abs. 2). Wie der
Vorentwurf geht auch der Bundesrat vom Grundsatz aus, dass Recht nicht
durch Unrecht durchgesetzt werden darf. Der Entwurf erlaubt die Berücksichtigung
rechtswidrig beschaffter Beweismittel daher nur unter einschränkenden Bedingungen
(
BGE 131 I 272
): Zum einen muss das fragliche Beweismittel als solches überhaupt zulässig
sein, d.h. es muss zum numerus clausus der Beweismittel gehören (
Art. 168 ). Zum andern hat das Gericht eine Abwägung zu treffen zwischen dem Schutzinteresse
des Rechtsgutes, das bei der Beweismittelbeschaffung verletzt wurde, und
dem Interesse an der Wahrheitsfindung. Unverwertbar wird somit etwa eine
Urkunde sein, die der berechtigten Person unter Drohung oder Gewaltanwendung
entrissen wurde, denn die persönliche Integrität steht – zumal in einem
Zivilprozess – grundsätzlich über der Wahrheitsfindung (vgl. auch
Art. 140 StPO
). Eine «nur» gestohlene Urkunde kann demgegenüber durchaus verwertbar
sein, wenn es das Interesse der Wahrheits findung gebietet. Diese Grundsätze
folgen der bundesgerichtlichen Praxis sowie der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofes für Menschenrechte.