Art. 257
1 Das Gericht gewährt Rechtsschutz im summarischen Verfahren, wenn:
a.
der Sachverhalt unbestritten oder sofort beweisbar ist; und
b.
die Rechtslage klar ist.
2 Ausgeschlossen ist dieser Rechtsschutz, wenn die Angelegenheit dem Offizialgrundsatz unterliegt.
3 Kann dieser Rechtsschutz nicht gewährt werden, so tritt das Gericht auf das Gesuch nicht ein.
Etliche Kantone kennen ein sog. Befehlsverfahren. Der «Rechtsschutz in klaren Fällen» ist der bundesrechtliche Nachfolger dieses effizienten kantonalen Instituts. Bei eindeutiger Sach- und Rechtslage wird der klagenden Partei erlaubt, rasch – d.h. ohne einlässlichen Prozess – zu einem rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheid zu kommen. Der Rechtsschutz in klaren Fällen ist nicht mit den vorsorglichen Massnahmen (Art. 261 ff.) zu verwechseln: Diese greifen bereits bei Glaubhaftigkeit eines (gefährdeten) Anspruchs – sie vermögen jedoch keine volle materielle Rechts- kraft zu schaffen.
Der Rechtsschutz in klaren Fällen ist eine freie Option der klagenden Partei. Sie darf stattdessen auch den Prozessweg beschreiten (ordentliches bzw. vereinfachtes Verfahren). Nur wenn die Streitsache dem Offizialgrundsatz unterliegt, ist dieses Verfahren unzulässig (Abs. 2), denn mit den betreffenden Angelegenheiten verträgt es sich naturgemäss nicht (vgl. Art. 296). Auch für die Ehescheidung ist es ausgeschlossen. Hingegen steht es – im Unterschied zu seinen kantonalrechtlichen Vorgängern – auch Geldforderungen offen, denn auch ein Geldgläubiger soll in liquiden Fällen rasch zu einem definitiven Rechtsöffnungstitel kommen.
Der Rechtsschutz in klaren Fällen ist an folgende Voraussetzungen geknüpft (Abs. 1):
Der Sachverhalt muss liquid, d.h. die Tatsachen müssen unbestritten oder sofort beweisbar sein (Bst. a). Die Beschränkung der Beweismittel ist hier sehr ausgeprägt. Selbst bei einer mündlichen Verhandlung sollte sich das Gericht auf Urkunden beschränken, denn im Zweifel ist die Angelegenheit in einem einlässlichen Prozess auszutragen. Denkbar ist auch ein Augenschein an einem mitgebrachten Objekt. Expertisen, Zeugen- sowie auch Parteibefragungen fallen hingegen grundsätzlich ausser Betracht.
Zudem muss die Rechtslage klar sein (Bst. b). Das ist nur der Fall, wenn sich die Rechtsfolge im Rahmen bewährter Lehre und Rechtsprechung ohne weiteres ergibt.
Die Gegenpartei ist anzuhören (Art. 253). Wenn sie die Tatsachen bestreitet oder dem geltend gemachten Anspruch Einreden entgegensetzt, kann der schnelle Rechtsschutz nicht gewährt werden. Glaubhaftes Vorbringen der Einwände genügt – haltlose Behauptungen hingegen vermögen dieses Verfahren nicht aufzuhalten.
Die Gutheissung des Gesuchs hat volle materielle Rechtskraft. Der geltend gemachte Anspruch gilt als materiell bejaht – nicht nur als vorläufig vollstreckbar. Auch ein späterer einlässlicher Prozess würde somit an der res iudicata scheitern. Dies entspricht der neueren Lehre und Praxis und bricht mit dem überlebten Grundsatz, dass einem Summarentscheid keine volle Rechtskraft zukommen kann.
Anders ist es, wenn der Rechtsschutz nicht gewährt werden kann, weil die Sach- und Rechtslage nicht liquid ist. In diesem Fall kommt es nicht etwa zu einer (materiellen) Abweisung des Gesuchs, sondern das Gericht tritt darauf nicht ein (Abs. 3). Der klagenden Partei bleibt in der Folge unbenommen, ihren Anspruch im einlässlichen Prozess geltend zu machen, wo nun ein umfassendes Beweisverfahren bei umfassender gerichtlicher Kognition stattfinden kann. Dabei ist Art. 63 (Rückdatierung der Rechtshängigkeit) anwendbar. Eine Abweisung des Gesuchs mit materieller Rechtskraftwirkung wäre eine unbillige Konsequenz, worauf in der Vernehmlassung zu Recht hingewiesen wurde.
Funktionsgemäss ist der «Rechtsschutz in klaren Fällen» somit ein Instrument des Gläubigerschutzes. Wie heute das kantonale Befehlsverfahren wird er etwa für die Ausweisung von Mieterinnen und Mietern sowie Pächterinnen und Pächtern infolge ausserordentlicher Kündigung spielen, so bei Zahlungsverzug (Art. 257d OR) und Konkurs (Art. 266h OR) einer Mieterin oder eines Pächters. Die Sachlage lässt sich in diesen Fällen durch Urkunden liquide beweisen (Mahnungen, Fristansetzungen, Kündigungen); zudem ist die Erstreckung von Gesetzes wegen ausgeschlossen (Art. 272a OR).