Art. 296 Untersuchungs- und Offizialgrundsatz
1 Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen.
2 Zur Aufklärung der Abstammung haben Parteien und Dritte an Untersuchungen mitzuwirken, die nötig und ohne Gefahr für die Gesundheit sind. Die Bestimmungen über die Verweigerungsrechte der Parteien und von Dritten sind nicht anwendbar.
3 Das Gericht entscheidet ohne Bindung an die Parteianträge.
Art. 296 Untersuchungs- und Offizialgrundsatz
1 Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen.
2 Zur Aufklärung der Abstammung haben Parteien und Dritte an Untersuchungen mitzuwirken, die nötig und ohne Gefahr für die Gesundheit sind. Die Bestimmungen über die Verweigerungsrechte der Parteien und von Dritten sind nicht anwendbar.
3 Das Gericht entscheidet ohne Bindung an die Parteianträge.
– Sodann gelten für alle Kinderbelange in familienrechtlichen Angelegenheiten die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime und die Offizialmaxime (Art. 296). Dies entspricht dem geltenden Recht (vgl. insb. Art. 133 und 145 ZGB) und der ständigen Bundesgerichtspraxis204. Uneingeschränkte Untersuchungsmaxime bedeutet, dass das Gericht auch ohne Parteiantrag von sich aus jede Abklärung zu treffen hat, die nötig oder geeignet ist, den massgeblichen Sachverhalt zu ermitteln. Der Entwurf spricht denn auch klar von Erforschung – nicht bloss von Feststellung (vgl. demgegenüber die abgeschwächte Untersuchungsmaxime nach Art. 247 Abs. 1). Weiter bewirkt die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime eine Durchbrechung des Numerus clausus der Beweismittel (vgl. Art. 168 Abs. 2). Es gilt der sog. Freibeweis.
Auch die Nichtleistung des Kostenvorschusses für die Beweismassnahmen entbindet das Gericht nicht von der Erforschung des Sachverhalts.
Die uneingeschränkte Untersuchungsmaxime derogiert zudem die Eventualmaxime. Neue Tatsachen und Beweismittel, d.h. echte wie unechte Noven, müssen bis zur Urteilsberatung berücksichtigt werden. Die Untersuchungsmaxime gilt auch für Sachverhaltsfragen prozessualer Natur wie die Anordnung der Vertretung des Kindes ( Art. 299 ).
– Im Einklang mit der Untersuchungsmaxime wird für Statusprozesse – entsprechend dem geltenden Recht (Art. 254 Ziff. 2 ZGB) – präzisiert, dass die Parteien und Dritte an allen Untersuchungen mitzuwirken haben, die zur Aufklärung der Abstammung nötig und ohne Gefahr für die Gesundheit sind (Art. 296 Abs. 2). Dementsprechend gelten hier die allgemeinen Bestimmungen über die Verweigerungsrechte der Parteien und von Dritten nicht (Art. 296 Abs. 2; Art. 163 ff.).
– Das Gericht ist wie bis anhin infolge der Offizialmaxime nicht an die Parteianträge gebunden (Art. 296 Abs. 3).
S. 2717: (...) der Bundesrat [schlägt] namentlich vor, dass streitige Verfahren des Familienrechts zukünftig im vereinfachten Verfahren behandelt werden sollen, soweit nicht das summarische Verfahren anwendbar ist. Das betrifft sowohl streitige Scheidungsverfahren (Art. 288 Abs. 2 und 291 Abs. 3 E-ZPO) als auch sämtliche selbständigen Klagen über Kinderbelange und über den Unterhalt des Kindes (Art. 295 E-ZPO). Für selbstständige Klagen über Kinderbelange inklusive Unterhalt von Kindern sollen zukünftig generell Untersuchungs- und Offizialgrundsatz gelten (Art. 296 E-ZPO). (...)
S. 2766: Artikel 295 ZPO legt als Grundsatz fest, dass für selbstständige Klagen in Kinderbelangen das vereinfachte Verfahren gilt. Insbesondere selbstständige Unterhaltsklagen nach Artikel 279 ff. ZGB oder Klagen betreffend die Anfechtung oder Feststellung des Kindesverhältnisses (Art. 256, 260a resp. 261 ZGB, sog. Statusprozesse) werden demnach im vereinfachten Verfahren durchgeführt. Nach Artikel 296 ZPO gilt in diesen Fällen überdies der strenge Untersuchungsgrundsatz (Art. 296 Abs. 1 ZPO: «Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen»; vgl. die Erläuterungen zu dieser Bestimmung) und der Offizialgrundsatz, das heisst, das Gericht ist nicht an die Parteianträge gebunden (Art. 296 Abs. 3 ZPO). [Vgl. auch Botschaft 2020, Anm. unter Art. 295].
S. 2768: Art. 296 Abs. 1 (Betrifft nur französischen Text)
Artikel 296 ZPO regelt die Anwendung von Untersuchungs- und Offizialgrundsatz in Verfahren über Kinderbelange und zwar grundsätzlich ungeachtet der Volljährigkeit des Kindes (vgl. die Erläuterungen zu Art. 295 E-ZPO). Der nach Absatz 1 der Bestimmung in Kinderbelangen geltende uneingeschränkte Untersuchungsgrundsatz ist vom sogenannten sozialen oder gemilderten Untersuchungsgrundsatz abzugrenzen, wie er in gewissen Bereichen des vereinfachten Verfahrens (vgl. Art. 247 Abs. 2 ZPO), des summarischen Verfahrens (vgl. Art. 255 ZPO) und des Familienverfahrensrechts (vgl. Art. 272 und 277 Abs. 3 ZPO) gilt. Während die deutsche und die italienische Fassung diese Unterscheidung auch sprachlich zum Ausdruck bringen («Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amtes wegen» gegenüber «Das Gericht stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest»; «Il giudice esamina d’ufficio i fatti» und «Il giudice accerta d’ufficio i fatti»), ist dies in der französischen Fassung nicht der Fall («Le tribunal établit les faits d’office»). Diese terminologische Ungenauigkeit ist zu beseitigen und die französische Fassung in Artikel 296 Absatz 1 ZPO entsprechend anzupassen; neu lautet sie entsprechend der früheren Bestimmung von Artikel 254 Ziffer 1 aZGB «[le juge] examine d’office les faits». Dabei handelt es sich um eine rein redaktionelle Anpassung; inhaltlich ist damit keine Änderung verbunden.
Vgl. auch AB 2021 S 672 und 691; AB 2022 N 707 und 710; AB 2022 S 651; AB 2022 N 2257 und 2262.