Artikel 198
Am 19.12.2024 aktualisiert
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Art. 198 Ausnahmen

Das Schlichtungsverfahren entfällt:

a. im summarischen Verfahren;

a bis. bei Klagen wegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen nach Artikel 28b ZGB oder betreffend eine elektronische Überwachung nach Artikel 28c ZGB;

b. bei Klagen über den Personenstand;

b bis. bei Klagen über den Unterhalt von minder- und volljährigen Kindern und weitere Kinderbelange;

c. im Scheidungsverfahren;

d. im Verfahren zur Auflösung und zur Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft;

e. bei folgenden Klagen aus dem SchKG:

f. bei Streitigkeiten, für die nach Artikel 7 dieses Gesetzes eine einzige kantonale Instanz zuständig ist;

g. bei der Hauptintervention, der Widerklage und der Streitverkündungsklage;

h. wenn das Gericht eine Frist für eine Klage gesetzt hat sowie bei Klagen, die mit einer solchen Klage vereint werden, sofern die Klagen in einem sachlichen Zusammenhang stehen;

i. bei Klagen vor dem Bundespatentgericht.

Version vor dem 01.01.2025

Art. 198 Ausnahmen

Das Schlichtungsverfahren entfällt:

a. im summarischen Verfahren;

a bis. bei Klagen wegen Gewalt, Drohungen oder Nachstellungen nach Artikel 28b ZGB oder betreffend eine elektronische Überwachung nach Artikel 28c ZGB;

b. bei Klagen über den Personenstand;

b bis. bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen hat (Art. 298b und 298d ZGB);

c. im Scheidungsverfahren;

d. im Verfahren zur Auflösung und zur Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft;

e. bei folgenden Klagen aus dem SchKG:
1. Aberkennungsklage (Art. 83 Abs. 2 SchKG),
2. Feststellungsklage (Art. 85a SchKG),
3. Widerspruchsklage (Art. 106109 SchKG),
4. Anschlussklage (Art. 111 SchKG),
5. Aussonderungs- und Admassierungsklage (Art. 242 SchKG),
6. Kollokationsklage (Art. 148 und 250 SchKG),
7. Klage auf Feststellung neuen Vermögens (Art. 265a SchKG),
8. Klage auf Rückschaffung von Retentionsgegenständen (Art. 284 SchKG);

f. bei Streitigkeiten, für die nach den Artikeln 5 und 6 dieses Gesetzes eine einzige kantonale Instanz zuständig ist;

g. bei der Hauptintervention, der Widerklage und der Streitverkündungsklage;

h. wenn das Gericht Frist für eine Klage gesetzt hat.

Botschaften
Botschaft 2006 S. 7328 f.

Der Grundsatz vorgängiger Schlichtung kennt jedoch – wie das geltende Prozess- recht – wesentliche Ausnahmen, in denen direkt an das entscheidende Gericht zu gelangen ist (direkte Klage oder direktes Gesuch).

So hat dem summarischen Verfahren kein selbstständiger Schlichtungsversuch  voranzugehen (Bst. a), denn hier liegt der Akzent auf besonderer Beschleunigung. Ein zusätzlicher Schlichtungstermin könnte den Verfahrenszweck sogar vereiteln (z.B. beim vorsorglichen Rechtsschutz oder bei der Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung).

Ausgenommen sind ferner die Klagen betreffend den Personenstand (Bst. b), wie beispielsweise auf Feststellung von Geburt, Tod, Abstammung und Zivilstand. Hier ist ein separater Schlichtungsversuch nicht sinnvoll, weil der Prozess grundsätzlich nicht einvernehmlich erledigt werden kann.

Kein eigenständiges Schlichtungsverfahren findet sodann bei der Ehescheidung und im Verfahren zur Auflösung der eingetragenen Partnerschaft statt (Bst. c und d). Hinsichtlich der Scheidung auf gemeinsames Begehren entspricht dies geltendem Recht. Im streitigen Scheidungsverfahren kann es zu einer speziellen Einigungsverhandlung vor dem urteilenden Gericht kommen (Art. 291 f.). 

Das Schlichtungsverfahren ist ausserdem ausgeschlossen für jene SchKG- Klagen, die nach geltendem Recht im sog. beschleunigten Verfahren zu beurteilen sind (Bst. e; vgl. [a]Art. 25 Ziff. 1 SchKG und Ziff. 17 des Anhangs). Damit wird der besonderen Dringlichkeit Rechnung getragen. Neu aufgenommen werden in diesen Katalog die Aussonderungs- und die Admassierungsklage (Art. 242 SchKG), denn sie betreffen – wie die Widerspruchsklage der Spezialexekution (Art. 106 ff. SchKG) – die Zusammensetzung des Vollstreckungssubstrats.

Ebenfalls ausgenommen werden die Streitigkeiten, die das einzige kantonale Gericht (Art. 5) zu beurteilen hat (Bst. f): Das notwendige Fachwissen kann bei einer nichtspezialisierten Schlichtungsbehörde nicht vorausgesetzt werden. Handelsrechtlichen und prorogierten Streitigkeiten (Art. 6 und 8) hat jedoch ein Schlichtungsversuch vorauszugehen.

Schliesslich entfällt die Schlichtung bei besonderen Verfahrensgestaltungen (Bst.  g): Ein nachträglicher separater Schlichtungsversuch würde hier das Verfahren nur verzögern.

Zu beachten ist, dass diese Ausnahmen keineswegs jede Schlichtungstätigkeit verbieten. Ausgeschlossen ist nur das selbstständige Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsbehörde. Dem urteilenden Gericht bleibt unbenommen, im Rahmen des Prozesses Vergleichverhandlungen zu führen (Art. 124, 226) oder den Parteien sogar eine Mediation zu empfehlen (Art. 214).

(auch) unter der revZPO anwendbarBotschaft 2020 

S. 2753 ff.: Art. 198 Abs. 1 Bst. bbis, f, h und i

Die Bestimmung regelt die Ausnahmen vom grundsätzlich obligatorischen Schlichtungsverfahren, das allen Entscheidverfahren vorausgehen soll. Dementsprechend enthält Artikel 198 ZPO einen abschliessenden Katalog von Ausnahmen vom Obligatorium der Schlichtung. Dieses System hat sich bewährt (vgl. Ziff. 1.1.5 und Ziff. 4.1.3). Zur weiteren Verbesserung dieses Systems schlägt der Bundesrat vier Anpassungen am geltenden Artikel 198 ZPO vor:

– Mit der Revision des Kindesunterhaltsrechts (AS 2015 4299 ff.) wurde in Absatz 1 ein neuer Buchstabe bbis eingefügt, wonach ein Schlichtungsverfahren bei Klagen über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange entfällt, wenn vor der Klage ein Elternteil die Kindesschutzbehörde angerufen hat. Mit der im Rahmen der parlamentarischen Beratungen eingefügten Bestimmung sollten Doppelspurigkeiten vermieden werden, da ein Schlichtungsverfahren bei vorgängiger Befassung der Kindesschutzbehörde mit Möglichkeit zur Schlichtung überflüssig erscheint (AB SR 2014 1126 (Votum SR Engler); AB NR 2015 86 (Votum BRin Sommaruga)). Seit Inkrafttreten hat sich gezeigt, dass ein Schlichtungsverfahren vor der Schlichtungsbehörden über diese Fälle hinaus in weiteren Konstellationen entbehrlich ist: Zum einen bedürfen vor der Schlichtungsbehörde gefundene Einigungen in Bezug auf den Unterhalt des Kindes stets der Genehmigung des Gerichts oder der Kindesschutzbehörde (Nach geltendem Recht ist umstritten, ob die Genehmigungskompetenz im Sinne von Art. 287 Abs. 3 ZGB den Gerichten (so z.B. Eva Bachofner/Francesca Pesenti, Aktuelle Fragen zum Unterhaltsprozess von Volljährigen, FamPra.ch 2016, S. 619 ff., Fn. 58; Obergericht des Kantons Zürich (OGer ZH), Leitfaden neues Unterhaltsrecht, Version Juli 2018, S. 22, Fn. 3) oder der Kindesschutzbehörde (so z.B. Samuel Zogg, Selbständige Unterhaltsklagen mit Annexentscheid über die weiteren Kinderbelange – verfahrensrechtliche Fragen, FamPra.ch 2019, S. 1 ff., 6; Massimiliano Cometta, Le azioni indipendenti e la procedura di conciliazione, «Justice – Justiz – Giustizia» 2019/3, 67) zukommt), was in diesen Fällen zu Doppelspurigkeiten führt. Zum andern wird jedes Gericht und jede Kindesschutzbehörde in einem ersten Schritt beziehungsweise im Rahmen einer jederzeit möglichen Instruktionsverhandlung nach den Artikeln 226 und 246 Absatz 2 ZPO versuchen, eine einvernehmliche Einigung zwischen den Parteien zu finden, so dass das Ziel des Schlichtungsverfahrens faktisch ohnehin erreicht werden kann. Daher haben in der Vernehmlassung mehrere Teilnehmende vorgeschlagen, Streitigkeiten über den Unterhalt des Kindes und weitere Kinderbelange generell vom Obligatorium des Schlichtungsverfahrens auszunehmen (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.30 und 6.32). Nach Ansicht des Bundesrates ist dies sinnvoll und konsequent, weil es zu einer einfacheren und kohärenteren Verfahrensregelung im Interesse und zum Wohl des Kindes führt und weiterhin die Möglichkeit eines Schlichtungsversuchs durch das Gericht oder die Kindesschutzbehörde gewährleistet ist, die eine allfällige Einigung zudem auch wirksam genehmigen können.

– Nach Artikel 7 ZPO können die Kantone ein Gericht bezeichnen, welches als einzige kantonale Instanz für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen Krankenversicherung nach dem Bundesgesetz vom 18. März 1994 (SR 832.10) über die Krankenversicherung zuständig ist. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich um ein offensichtliches Versehen des Gesetzgebers, dass er Artikel 7 ZPO nicht gleich wie die Artikel 5 und 6 ZPO in der Bestimmung von Artikel 198 Buchstabe f ZPO erwähnte (BGE 138 III 558 E. 4). Dieses Versehen ist nunmehr auch gesetzgeberisch zu korrigieren und Buchstabe f dahingehend anzupassen, dass neu die Fälle von Artikel 7 ZPO ausdrücklich auf der Stufe Gesetz vom Obligatorium des Schlichtungsverfahrens ausgenommen werden. Angesichts der erwähnten bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist damit keine Rechtsänderung verbunden. Dieser Vorschlag wurde denn auch in Vernehmlassung einhellig unterstützt (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.30). Die bisher in Buchstabe f ausgenommenen Streitigkeiten nach den Artikeln 5 und 6 ZPO sollen neu separat in einem neuen Absatz 3 von Artikel 199 ZPO geregelt werden, weil in diesen Fällen das Schlichtungsverfahren nicht mehr ausnahmslos entfallen soll (vgl. die Erläuterungen zu Art. 199 E-ZPO).

Buchstabe h regelt als weitere Ausnahme vom Schlichtungsobligatorium die Fälle, in denen das Gericht für eine Klage eine Frist ansetzt. Das ist typischerweise bei der Prosekution vorsorglicher Massnahmen der Fall, umgekehrt aber nicht bei den materiell-rechtlichen Klagefristen des Bundesprivatrechts. Die Ausnahme gilt aber auch für eine Klage nach Artikel 315 Absatz 1 SchKG sowie für die besonders bedeutsame Klage auf definitive Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts nach dessen vorläufiger Eintragung nach Artikel 837 Absatz 1 Ziffer 3 und Artikel 839 ff. Zivilgesetzbuch (ZGB). Dies führt in der Praxis zum Problem, dass diese Klage nicht mit der sachlich zusammenhängenden Leistungsklage aus Werkvertrag betreffend die mit dem Pfand zu sichernde Forderung erhoben werden kann (Vgl. Entscheid OGer ZH vom 17. September 2014, ZR 113/2014 Nr. 80, 271; a.A. Entscheid des Obergerichts des Kantons Bern (OGer BE) vom 25. Juni 2015, ZK 15 153). Aufgrund entsprechender Forderungen und Vorschlägen in der Vernehmlassung (vgl. Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.30 und 6.31 f.) schlägt der Bundesrat daher eine Ergänzung von Buchstabe h vor: Demnach entfällt zukünftig ein Schlichtungsverfahren auch für andere Klagen, sofern sie zusammen mit einer Klage, zu deren Einleitung das Gericht eine Frist angesetzt hat, in einem sachlichen Zusammenhang stehen.

– Nach geltendem Recht ist für Klagen im Zuständigkeitsbereich des Bundespatentgerichts vorgängig ein Schlichtungsverfahren durchzuführen. Nach einhelliger Ansicht (vgl. David Rüetschi, Art. 27 N 19, in: Calame/Hess-Blumer/Stieger (Hrsg.), Kommentar Patentgerichtsgesetz, Basel 2013 sowie Mark Schweizer, Das neue Bundespatentgericht: besser, schneller, billiger?, Jusletter vom 12. März 2012, Fn. 36 und Florent Thouvenin, Bundespatentgericht: Verfahrensfragen am Übergang in eine neue Ära, sic! 2011, S. 479 ff., 488) handelt es sich dabei um ein gesetzgeberisches Versehen, welches darauf zurückzuführen ist, dass die Schaffung des Bundespatentgerichts bei Erlass der ZPO erst in Diskussion war und die ZPO in der Folge nicht wie anfänglich beabsichtigt (vgl. Botschaft ZPO, BBl 2006 7260) angepasst wurde. Diese Anpassung ist heute nachzuholen: Der Katalog von Ausnahmen vom Grundsatz des obligatorischen Schlichtungsverfahrens ist um einen neuen Buchstaben i für Klagen, für die das Bundespatentgericht zuständig ist, zu ergänzen. Damit wird die Rechtslage geklärt und materiell die geltende Praxis bestätigt. Dieser Vorschlag wurde in der Vernehmlassung einhellig unterstützt (Bericht Vernehmlassung, Ziff. 5.30).

Vgl. auch AB 2021 S 671, 683 und 694; AB 2022 N 700.