Art. 274 Einleitung
Das Scheidungsverfahren wird durch Einreichung eines gemeinsamen Scheidungsbegehrens oder einer Scheidungsklage eingeleitet.
Ausgangslage
Das auf den 1. Januar 2000 in Kraft getretene Scheidungsrecht enthält in den Art. 135–149 ZGB eine Vielzahl zivilprozessualer Bestimmungen. Vor dem Hintergrund der teilweise sehr unterschiedlichen kantonalen Zivilprozessordnungen wollte der Bundesgesetzgeber die Grundlage für eine möglichst einheitliche Durchsetzung des materiellen Scheidungsrechts schaffen. Eine Vereinheitlichung des Scheidungsprozessrechts war damals noch ausgeschlossen, weil dem Bund für das Zivilprozessrecht eine umfassende Gesetzgebungskompetenz fehlte. Dies führte dazu, dass einzelne prozessuale Fragen heute abschliessend (z.B. Art. 139–145 ZGB), andere hingegen nur im Sinne von Rahmen- oder Mindestvorschriften im ZGB geregelt sind (z.B. Art. 138 Abs. 1 und 148 Abs. 2 ZGB). Wichtige Fragen wie die Sachverhaltsermittlung bezüglich Güterrecht oder nachehelichem Unterhalt richten sich – vorbehältlich Art. 140 Abs. 2 ZGB – allein nach kantonalem Recht. Die Vereinheitlichung des Zivilprozessrechts ermöglicht es nun, dieser Rechtszersplitterung ein Ende zu bereiten. Die bisherigen Artikel 136–149 ZGB können gestrichen werden (vgl. Ziff. 3 des Anhangs.).
Das Vernehmlassungsverfahren hat gezeigt, dass die Bestimmungen des Vorentwurfs zum Scheidungsverfahren (Art. 242–251 VE) zu rudimentär waren. Die Praxis wünscht eine etwas ausführlichere Regelung insbesondere des Verfahrens bei Teileinigung der Ehegatten (vgl. Art. 112 ZGB und Ziff. 3.4). Dabei müssen nicht alle Fragen im Kapitel über das Scheidungsverfahren geregelt werden, weil sich Vieles bereits aus den allgemeinen Bestimmungen ergibt, so etwa die freie Beweiswürdigung (vgl. Art. 157) oder die Teilrechtskraft im Zusammenhang mit ordentlichen Rechtsmitteln (315 Abs. 1).
Das Kapitel über das Scheidungsverfahren ist in vier Abschnitte gegliedert:
– Die allgemeinen Bestimmungen des ersten Abschnittes (Art. 274–284) gelten für alle Scheidungsverfahren.
– Der zweite Abschnitt regelt das Verfahren bei Scheidung auf gemeinsames Begehren (Art. 285–289).
– Der dritte Abschnitt normiert das streitige Verfahren (Scheidungsklage, Art. 290–293).
– Der vierte Abschnitt betrifft die Eheungültigkeits- und Ehetrennungsklage (Art. 294).
Das Scheidungsverfahren ist eine eigenständige Prozessart; die Bestimmungen über das ordentliche Verfahren finden jedoch ergänzend Anwendung (vgl. auch Art. 219).
Art. 274: Bei der Ehescheidung findet kein vorgängiger separater Schlichtungsversuch statt (Art. 270; vgl. auch Art. 198 Bst. c) – weder bei Scheidung auf gemeinsames Begehren noch bei der streitigen Scheidung (Scheidungsklage). In Bezug auf die Scheidung auf gemeinsames Begehren entspricht dies dem geltenden Recht (Art. 136 Abs. 1 ZGB); für die Scheidungsklage konnten die Kantone eine andere Lösung vorsehen. Nach der neuen ZPO ist ein allfälliger Einigungsversuch Sache des direkt angerufenen Gerichts (vgl. Art. 124 Abs. 3 und 291 Abs. 2).